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Interview mit Sandra Mikolaschek im Vorfeld der Europameisterschaft

„Ich spiele nicht mehr gegen das Verlieren“

Mit ihrer Einzel-Goldmedaille bei den Paralympics in Paris hat Para Tischtennisspielerin Sandra Mikolaschek ihren bislang größten Erfolg in ihrer Karriere gefeiert. Im schwedischen Helsingborg möchte die Weltranglisten-Erste erstmals auch Europameisterin werden. Im Interview spricht die 28-Jährige über den Umgang mit Druck, die chaotische Turnierplanung in diesem Jahr, ihren Berufswunsch in der Kriminalpsychologie – und warum ein gefaltetes Handtuch manchmal mehr bewirkt als jede Taktik.

Sandra Mikolaschek, über den Gewinn der Goldmedaille haben Sie mal gesagt: Er bedeutet mir alles. Was war schwieriger: diesen Moment zu erreichen oder danach wieder in den Alltag zurückzufinden?

Mikolaschek: Ich habe viele Jahre sehr hart darauf hingearbeitet – mit Höhen und Tiefen – und ich investiere Woche für Woche viel in mein Training und versuche, Leistungssport und Ausbildung unter einen Hut zu bekommen. Direkt nach dem Sieg war der Trubel riesig – ich hatte viele Medienanfragen, Termine, Interviews, darunter die Einladung ins Aktuelle Sportstudio. Sowas ist wahrscheinlich einmalig. Diese Sichtbarkeit für unseren Sport und die Wertschätzung waren schon großartig. Aber die Realität holt einen schnell wieder ein. Wir Para Sportler sind in der Regel keine Vollprofis. Anfang September ging es für mich direkt weiter mit meinem Masterstudium in Psychologie. Da bleibt keine Zeit abzuheben, die Klausuren schreiben sich nicht von allein. Eine echte Pause hatte ich daher nicht – vielleicht ein Vierteljahr, in dem ich mal durchschnaufen konnte. Mein einziger „Urlaub“ waren vier Tage in Madrid.

Seit kurzem sind Sie wieder Weltranglistenerste in ihrer Rollstuhlklasse 4. Spüren Sie als Paralympics-Siegerin eine gesteigerte Erwartungshaltung?

Mikolaschek: Es ist natürlich ein Unterschied, als Paralympics-Siegerin bei Turnieren zu starten. Ich stehe mehr im Fokus, der Druck steigt automatisch, weil alle gegen mich gewinnen wollen. Man muss aushalten können, die Gejagte zu sein. Aber das ist mir bisher ganz gut gelungen.

Sie haben allein drei Elite-Turniere der höchsten Kategorie in diesem Jahr gewonnen. Wie schaffen Sie es, mit Druck umzugehen?

Mikolaschek: Ich habe 2021 gemerkt, dass ich oft „gegen das Verlieren“ spiele – und nicht für das, was ich kann. Das war ein Aha-Moment. Ich habe begonnen, mit einem Sportpsychologen und auch mit meinem Trainer Volker Ziegler intensiv daran zu arbeiten. Mein Ziel war es, aus Spaß zu spielen, nicht für das Ergebnis. Man ist ja nicht weniger wert, nur weil man mal ein Duell verliert. Diese Einstellung hat viel verändert. Ich bin geduldiger mit mir selbst geworden – im Sport und auch darüber hinaus.

Hilft Ihnen das Psychologie-Studium dabei?

Mikolaschek: Im Studium lernt man vor allem die Theorie – die praktische Umsetzung ist dann etwas anderes. Aber ich merke schon, dass ich inzwischen bewusster und besser mit Druck umgehe. Ich bin insgesamt ruhiger geworden.

Welche Rolle spielt Psychologie für Sie im Sport?

Mikolaschek: Ein großer Teil der sportlichen Leistungsfähigkeit hängt von der Psyche ab. Ich merke das bei mir: Wenn ich von der Uni oder meinem Alltag gestresst bin, spiele ich schlechteres Tischtennis, obwohl der Sport gar nicht das Problem ist. Mentales Training hilft – und zwar nicht nur im Sport. Ich bin davon überzeugt: Wenn man sich persönlich weiterentwickelt, dann wirkt sich das auch positiv auf sportliche Leistung aus. Wichtig: Sport und Alltag müssen im Einklang stehen.

Gibt es Rituale oder psychologische Tricks, die Ihnen im Spiel helfen?

Mikolaschek: (lacht) Tricks verwende ich keine. Ich nutze die Handtuch-Pausen, um mich zu fokussieren. Dabei hilft mir das immer gleiche Ritual. Ich fahre zu meinem Platz, wische mir den Schweiß ab und falte danach das Handtuch immer auf die gleiche Weise und lege es zurück. Das beruhigt mich enorm, ich bin dann wie in einem Tunnel. Manche Gegnerinnen versuchen das nachzumachen – aber das beeindruckt mich nicht, ich ziehe mein Ding durch. Die Pausen sind für mich Goldwert.

Im Paralympics-Finale war das eindrucksvoll zu sehen. Sie wirkten sehr ruhig und fokussiert. Ihre Gegnerin Borislava Peric-Rankovic, bis dahin die unangefochtene Nummer eins, hat Ihnen zwischendurch sogar applaudiert und von „Wachablösung“ gesprochen.

Mikolaschek: Ja, das war wirklich ein starker Moment. Sie meinte sinngemäß: „Jetzt sind die Jüngeren dran.“ Auch wenn ich mich mit 28 nicht mehr ganz so jung fühle (lacht). Aber einige ältere Spielerinnen haben international aufgehört, jetzt bin ich eine von denen, die vorne mitspielt. Das zu spüren, ist schön – besonders nach der jahrelangen harten Arbeit.

Sie wirken trotz der Herausforderungen erstaunlich entspannt.

Mikolaschek: Der Paralympics-Sieg hat mir viel Druck genommen. Ich habe bewiesen, was ich kann – jetzt geht’s darum, weiter Freude am Spiel zu haben und mein Bestes zu geben. Was dann kommt, nehme ich mit. Und wenn mal was nicht klappt, ist das auch okay. Ich bin nicht mehr so hart zu mir wie früher.

Sie haben die Doppelbelastung Studium und Sport angesprochen – wie händeln Sie das?

Mikolaschek: Dieses Jahr war es wirklich herausfordernd. Durch die späte Veröffentlichung des Turnierkalenders war die Planung schwierig. Viele Turniere, wie die China Open, die ich fest eingeplant hatte – auch im Hinblick auf die Qualifikation zur WM – sind dann plötzlich ausgefallen. Gleichzeitig wird man aber an der Weltrangliste gemessen. Nur noch wenige Events zählen zur Elite-Serie – und das macht die Qualifikation für die WM im kommenden Jahr umso schwieriger. Man muss also spontan neue Turniere finden – und die dann auch teils selbst finanzieren. Das ist schon ein großer Stressfaktor. Ich bin im dritten Mastersemester und so langsam geht’s Richtung Masterarbeit.

Ihr Fokus liegt aber nicht auf der Sportpsychologie...

Mikolaschek: Das Thema lautet: Gegenüberstellungen von Tatverdächtigen; es ist aber weniger polizeilich als psychologisch. Ich habe mich immer schon sehr für die Kriminalpsychologie interessiert und Anfang des Jahres ein Praktikum beim Landeskriminalamt absolviert. Deren Arbeit finde ich total spannend. Wenn es klappt, nach dem Leistungssport in dem Bereich Fuß zu fassen, wäre das toll! Privat höre ich gerne einen Podcast über True Crime.

Die EM steht bevor. Fühlen Sie sich gut vorbereitet?

Mikolaschek: Ganz so viel Zeit hatten wir nicht. Ich war vor zwei Wochen noch beim Turnier in Frankreich, hatte hinterher erstmal eine Erkältung. Danach ging’s direkt zum Nationalmannschafts-Lehrgang nach Düsseldorf, mein Trainingsumfang war also eher überschaubar. Aber beim Lehrgang bin ich wieder ganz gut reingekommen. Ich hoffe, das trägt mich durch die EM.

Trotz des Turniersieges in Frankreich sah Bundestrainer Volker Ziegler bei Ihnen wie auch bei allen anderen noch Luft nach oben.

Mikolaschek: Ich bin in zwei Spielen über fünf Sätze gegangen, ein Gruppenspiel habe ich sogar verloren. Am Ende hat mir die Niederlage aber nicht geschadet. Vielmehr hat sie gezeigt: Die anderen spielen auch gutes Tischtennis. Man muss aktiv spielen und nicht nur den Ball übers Netz heben und denken: Das wird schon reichen.

Als es darauf ankam, waren Sie allerdings voll da und haben sich durchgesetzt.

Mikolaschek: Ich fand die Erfahrung sehr hilfreich. Ich konnte nochmal gegen fast alle Europäerinnen spielen, die mir bei der EM begegnen könnten. Dadurch weiß ich jetzt besser, was sie spielen, und bin dann hoffentlich nicht überrascht, falls sie bei der EM etwas Neues probieren.

Die Frage erübrigt sich eigentlich, aber als Paralympics-Siegerin wollen Sie bestimmt auch Europameisterin werden, oder?

Mikolaschek: Im Einzel war ich noch nie Europameisterin – das ist also definitiv mein Ziel. Aber nur weil ich Paralympics-Siegerin bin, heißt das nicht, dass das automatisch passiert. Volker würde sagen: Eine EM ist kein „Wald-und-Wiesen-Turnier“. Jede will Europameisterin werden, und jede versucht natürlich auch, gegen mich zu gewinnen. Der Titel wäre gleichbedeutend mit der direkten Qualifikation für die WM.

Aber auch als Weltranglisten-Erste sind Sie in Sachen WM-Qualifikation aktuell auf der sicheren Seite.

Mikolaschek: Ich bin auf dem besten Weg, ja. Das Spannende wird dann die WM selbst und der Spielplan. Die Chinesinnen zum Beispiel hatten zwar schon ihre Asienmeisterschaft, haben aber bisher keine weiteren Turniere gespielt. Das heißt, sie könnten sich als Nummer 9 oder 10 der Weltrangliste qualifizieren, obwohl sie eigentlich viel stärker sind. Dann kann es passieren, dass man schon im Achtel- oder Viertelfinale auf eine starke Gegnerin trifft. Wir wissen auch nicht so genau, welche Taktik sie fahren.

Und wie sehen Sie die Konkurrenz in Europa?

Mikolaschek: Die stärkste Konkurrentin ist sicher die Französin Alexandra Saint-Pierre – sie war meine Finalgegnerin in Frankreich. Aber es gibt einige Spielerinnen, die wir „Heißläuferinnen“ nennen. Wenn man ihnen eine kleine Chance gibt, zum Beispiel den ersten Satz verliert, dann merken sie: „Hey, heute kann was gehen!“ - und dann wird’s schwer. Da muss man einfach von Anfang an sein Spiel durchziehen – und darf sich nicht darauf verlassen, dass man das schon irgendwie dreht – man muss auch wirklich gutes Tischtennis zeigen. Ich freue mich darauf!

Interview: Stefanie Bücheler-Sandmeier / DBS

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