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Presse: Boll - Mathematikverdrossener Medaillensammler

...und golfspielender Hundeschmuggler

Deutscher Tischtennisbund, MS

Braunschweig. Mein Name ist Boll, Timo Boll. Ob der Weltranglisten-Zweite seine Konkurrenten beim Volkswagen 2010 Cup in Braunschweig im Stile von Ian Flemings Heldenfigur begrüßen wird, erscheint eher unwahrscheinlich. Bei oberflächlicher Betrachtung sind dem auf Zelluloid gebannten Bond und dem mit Zelluloid jonglierenden Boll dennoch durchaus Gemeinsamkeiten anzudichten. Sie gelten als überdurchschnittlich gut aussehend, und weltweit geht die Anzahl ihrer – nicht selten weiblichen – Fans in die Millionen. Beide sind ohne Unterlass bemüht, die alleinige Weltherrschaft allzu Erfolgssüchtiger zu unterbinden, und bei ihren Einsätzen benötigen sie Nerven wie Drahtseile. Sie besitzen in Dienstkleidung und Smoking die Manieren eines Gentlemans, in Notwehr schlägt ihre Höflichkeit aber zuweilen abrupt in fintenreiche Attacken um. Dazu rüsten ihre Dienstzentralen Butterfly und Britischer Geheimdienst das ungleiche Duo stets mit technisch ausgereiften und modernsten Schlagwaffen aus, mit denen sie ihre für gewöhnlich rücksichtslos angreifenden Gegner vorzugsweise mit Treffern in der Körpermitte außer Gefecht setzen.

Liebenswerter Denkmal-Verdränger

Näherer Betrachtung hält das Konstrukt Boll-Bond allerdings nicht stand. Denn der Spitzenspieler der Düsseldorfer Borussia gilt nicht nur als liebenswert und bescheiden – er ist es auch. Service für seine Fans schreibt Timo Boll groß – sei es bei Autogrammwünschen, bei eigens verfassten Kommentaren auf seiner Homepage www.timo-boll.de oder bei persönlichen Eintragungen auf der „offiziellen Fansite von Timo Boll bei Facebook“. Selbst die resolute Fähigkeit, Denkmäler von ihrem Sockel zu verdrängen – der ehemalige EM-Rekordhalter Jan-Ove Waldner und Deutschlands ehemals erfolgreichster Tischtennisspieler aller Zeiten, Jörg Roßkopf, können ein Lied davon singen -, ist für den allseits beliebten Boll kein Mittel zum Zweck, sondern lediglich die Summe zahlreicher Dienstjahre. „Ich zähle meine Medaillen überhaupt nicht“, erklärte der Europameister nach dem Gewinn seiner 13. Goldmedaille bei der EM in Ostrava den verwunderten Medienvertretern, und machte gleich anschließend einen Vorschlag: „Ihr könnt ja alle meine Medaillen aufschreiben und ganz am Ende zusammenrechnen. Wenn ich dann irgendwann mal aufhöre, legt ihr mir die Bilanz vor. Dann freue ich mich vielleicht auch darüber.“

Keine Lust auf Mathematik

Bolls Widerstand gegen die ihm fremde Medaillen-Mathematik ist keine Geringschätzung des Erreichten, es ist das Streben nach Perfektion. „Wenn ich am Tisch stehe, dann will ich mein bestes Tischtennis spielen. Wenn mir das manchmal nicht gelingt, dann bin ich unzufrieden mit mir selbst.“ Lange Jahre war dem außergewöhnlichen Talent, das im Alter von vier Jahren  zum ersten Mal den Schläger in die Hand nahm, dies auch anzusehen. Der Anteil negativer Körpersprache steuert, von wenigen Ausnahmen abgesehen, heute aber gegen null. Dass der mit seiner Frau Rodelia in Höchst im Odenwald lebende Hesse im Laufe der Jahre gelernt hat, Siege auch über sich selbst zu erringen, wurde Ende Oktober beim LIEBHERR World Cup in Magdeburg überdeutlich. Müde und ausgelaugt von den Strapazen der letzten Monate angereist, erkämpfte sich der begeisterte Golfer und Hobbytaucher in das Halbfinale gegen Chinas Weltmeister Wang Hao und gewann anschließend mit buchstäblich letzter Kraft sogar das psychologisch schwer zu bestreitende Spiel um den dritten Platz gegen Japans Star Jun Mizutani. „Solche Matches sind wirklich schwer für einen Sportler, und ich denke, sie müssen auch nicht mehr sein. Aber ich habe mich noch einmal reingehängt, weil ich mich natürlich für die tolle Unterstützung der Zuschauer mit einem Sieg zum Abschluss bedanken wollte.“

Urlaub und Regeneration nach dem World Cup

Mit dieser Energieleistung war dann allerdings auch der Akku des einzigen ernsthaften Verfolgers der chinesischen Weltmeister und Olympiasieger vollkommen erschöpft. Noch in der Nacht nach dem Turnier sagte Boll sogar den lukrativen Start beim European Super Cup in Ekaterinenburg ab, der ihm drei Jahre lang hintereinander eine Einnahme von jeweils 50.000 Euro beschert hatte. Seinen Fans erklärte er in seinem Blog: „Nun bin ich wirklich platt, die letzten Wochen und Monate waren hart. Den Supercup, bei dem es zwar viel Geld zu gewinnen gibt, habe ich abgesagt. Körperlich, aber auch mental muss ich aufpassen, um nicht in ein großes Loch zu fallen. Ich werde knapp zwei Wochen Urlaub machen, doch mit dem Konditionstraining werde ich sofort beginnen, denn keine Zeit ist zu verlieren!“
 
Vom Golfschwung zum Topspinschwinger

Gesagt , getan. Schon in der Woche nach Magdeburg setzte sich Boll in den Flieger nach Spanien, um für einige Tage den Golfschläger anstelle des Tischtennis-Rackets zu schwingen. Im Anschluss an den Golfurlaub folgten in Österreich entspannende Tage in einem Wellness-Hotel. „Golfspielen, Konditionsaufbau, Schwimmen, Radfahren, Krafttraining – so habe ich im Wesentlichen meine Tage verbracht. Das war sehr entspannend. Erstmals einen Schläger angefasst habe ich am Montag dieser Woche. Mein Ballgefühl ist schon wieder ganz. Vor allem aber ist mein Akku wieder aufgeladen. Ich bin wieder mental frisch im Kopf - das ist manchmal noch wichtiger als ständiges Training.“

Schmuggeln mit Carry

Stets in diesen Wochen an seiner Seite ist natürlich Bolls Gattin Rodelia, mit der er seit Silvester 2003 verheiratet ist, sowie die gemeinsame  Parson-Jack-Russell-Terrier-Hündin Carry, die auch in der nächsten Woche beim Volkswagen 2010 Cup in Braunschweig wieder zu den begeisterten Boll-Fans gehören wird. Die kleine Hündin gehört zum festen Reisegepäck der Familie Boll. Der World-Cup-Gewinner von 2002 und 2005 verrät: „Wenn man tatsächlich mal keine Tiere mitnehmen kann, schmuggeln wir sie eben in einer Tasche rein.“ Bolls Gegner müssen aber im Falle einer Niederlage keine Hunde-Attacken fürchten. Der ansonsten so energiegeladene Terrier besitzt in der Halle die Manieren einer feinen Hundelady. Boll: „Sobald Carry in eine Sporthalle kommt, gibt sie keinen Pieps mehr von sich. Sie sitzt ganz brav auf ihrem Stuhl, guckt zu und rührt sich nicht mehr. Ganz früher war ich mal mit ihr in einer Hundeschule, das hat sich ausgezahlt.“

WM-Vorbereitung: Nicht nur der Weg ist das Ziel

Bolls mit Bundestrainer Jörg Roßkopf geplante Regenerations- und Aufbauphase soll insgesamt noch bis in den Januar dosiert werden. Seinem großen Ziel, den Einzel-Weltmeisterschaften 2011 im Mai in Rotterdam, opferte der neunmalige Deutsche Meister in diesem Jahr sogar die Teilnahme an den hochdatierten Grand Finals der ITTF Pro Tour im Dezember in Seoul. Bolls alleiniger Fokus gilt den Titelkämpfen in den Niederlanden, wo der WM-Silbermedaillengewinner im Doppel und mit der Mannschaft endlich auch die bislang noch nicht erreichte Einzel-Medaille realisieren will. Dier vierfache Europameister im Einzel zeigt Entschlossenheit: „Die WM ist für mich der absolute Höhepunkt in diesem Jahr. Da will ich topfit sein. Braunschweig ist mit dem Volkswagen Cup auf dem Weg dorthin für mich ein sehr wichtiger Schritt, denn hier kann ich mich mit den besten Spielern der Welt messen. Das sind Erfahrungen, die bei einer WM später einmal den Ausschlag geben können.“

 

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